Haushaltsrede 2010 des Fraktionsvorsitzenden der UWG Günter Bertelmann
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren des Rates,
der Haushalt unserer Stadt befindet sich erstmals in einer Lage, bei der wir die „Packenden“, so möchte ich es mal bezeichnen, nicht mehr zusammen bekommen. Die dramatisch eingebrochenen Einnahmen lassen es nicht mehr zu, einen genehmigungsfähigen Haushalt, bzw. ein genehmigungsfähiges Haushaltssicherungskonzept aufzustellen. „Nothaushalt“ ist das Unwort des Jahres 2010.
Auf die Perspektiven und die sich abzeichnende Entwicklung in den nächsten Jahren werde ich zur Vermeidung von Wiederholungen als 5. Redner in dieser Mammuthaushaltsrunde daher gar nicht mehr eingehen. Ich möchte in Anbetracht der anstehenden Landtagswahlen auch keine wie auch immer gefärbte parteipolitische Betrachtung vornehmen; unabhängig wer in Düsseldorf oder Berlin die Mehrheit hatte: besser ist es den Städten und Gemeinden unter keiner Regierung gegangen. Die Rahmenbedingungen sind stetig schlechter geworden.
Bei der Analyse des „Warums“ der Misere sind jedoch mehrere Faktoren maßgebend; direkt beeinflussbare, im Bereich der eigenen Entscheidungsfreiheit liegende und fremdbestimmte Gründe.
Maßgeblich für die aktuelle und zukünftige Haushaltslage sind
die Weltwirtschafts – oder auch Bankenkrise mit den auf die Auftragslage und die daraus resultierende nachhaltige Reduzierung der Wirtschaftskraft unserer Unternehmen. Auf die Auswirkung auf die Haupteinnahmequelle der Kommunen , die Gewerbesteuer ist schon ausreichend eingegangen worden,
die Überfrachtung der städtischen Haushalte mit Kosten für Aufgaben des Bundes und der Länder. Wir stellen seit Jahren fest, dass den Städten und Gemeinden immer mehr Aufgaben übertragen werden, die anfangs mit Kostenerstattung ausgestattet, nach und nach aber durch die Reduzierung der zugesagten Kostenübernahme oder auch nur durch die Nichtanpassung an gestiegene Kostenstrukturen von den gemeindlichen Haushalten getragen werden müssen. Dies trifft in besonderem Maße im Bereich der Sozialen Einrichtungen zu, deren Anteile an den Gesamthaushalten stetig wachsen, ohne dass ein Ausgleich durch Bund oder Länder erfolgt,
durch die Einführung des NKF, wobei die nach den ansonsten in der freien Wirtschaft geltenden Prinzipien der Bilanzierung, Abschreibung usw. zwar eingeführt wurden, Möglichkeiten des Erwirtschaftens dieser Abschreibungen aber nicht gegeben sind und dort, wo sie andeutungsweise gegeben waren, nämlich in der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden und deren Unternehmungen, durch gesetzliche Beschränkungen, parallel zur Einführung des NKF in NRW nahezu unmöglich gemacht wurden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin in unserem Beitrag zum Haushalt 2009 bereits umfänglich auf die Auswirkungen des künstlich herbeigeführten gemeindlichen Bankrotts eingegangen. Nur die Geschwindigkeit, mit der dieser Prozess um sich greift, erschüttert, macht ratlos und traurig zugleich. Wenn wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass bereits drei Jahre nach Einführung des NKF, aber spätestens nach 5 Jahren alle Städte und Gemeinden bilanziell überschuldet sind, bedarf es dringendst einer Reform dieser neuen Errungenschaft der gemeindlichen Haushaltswirtschaft,
der Abschöpfung gemeindlicher Ressourcen, z.B. durch die zwangsweise Abführung gemeindlicher Einnahmen für den Fond Deutsche Einheit.Was am Anfang des Einigungsprozesses im Rahmen der Solidarität richtig war, muss umgehend an die heutige Entwicklung angepasst werden. Es kann nicht sein, dass weiterhin ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Städten und Gemeinden im Westen Unterstützungszahlungen, ungeachtet der Bedürftigkeit von Städten und Gemeinden in den Neuen Bundesländern, pauschal erfolgen. Es kann und darf nicht sein, dass wir in Siegen Kredite für die Sanierung und den Bau von Schulen, Straßen usw. aufnehmen, während wir gleichzeitig Millionenbeträge für die Finanzierung eben dieser Ausgaben in den Neuen Bundesländern abführen.
die eigene Ausgabepolitik.Auch die eigene Ausgabepolitik ist Bestandteil unseres Defizits. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass alle freiwilligen Aufwendungen für die Infrastruktur unserer Stadt in Anbetracht der Verschuldung kreditfinanziert und damit nach landläufiger Bezeichnung „auf Pump“ erfolgen. Alle infrastrukturellen Einrichtungen, seien es die aktuell in der Diskussion befindlichen Hallenbäder, Kunstrasenplätze, aber auch Schulen, die Museen, das Theater und- und- und- lassen sich aus den zuvor genannten Gründen nur durch Kredite am Leben erhalten. Insoweit müssen alle neuen Maßnahmen und auch der Bestand dieser Einrichtungen durch die Brille der aktuellen Haushaltslage betrachtet werden.
Bei der Analyse unserer Situation werden wir jedoch sehr schnell feststellen, dass wir die eingangs erwähnten Packenden auch dann nicht zusammen bekommen, wenn wir alle sog. Freiwilligen Leistungen, die das Zusammenleben der Bürger von Siegen positiv beeinflussen, die maßgeblich für die Lebensqualität in unserer Stadt, das Funktionieren unserer Vereinslandschaft und damit des ehrenamtlichen Bereichs usw. verantwortlich sind, streichen würden.
Wir sind – um das noch einmal deutlich zu machen- also noch nicht einmal theoretisch in der Lage, die Haushaltsverschlechterungen der letzten 2 Jahre aufzufangen, selbst wenn wir alle Freiwilligen Leistungen streichen würden.
Der Kämmerer hat in seinem Haushaltsentwurf vor dem Hintergrund der Gleichbehandlung diese Ausgabenpositionen aufgelistet und mit einer 10-prozentigen Sperre versehen. Im Ergebnis wurden damit noch nicht einmal 1,5 Mio. Euro eingespart; ein Tropfen auf den berühmten heißen Stein.
Für uns als politisch Verantwortliche heißt dies einerseits, dass wir sehr verantwortungsbewusst mit diesem Thema umgehen , andererseits aber auch oftmals einen kaum noch darstellbaren Spagat vollziehen müssen.
Vor diesem Hintergrund war es konsequent und verantwortungsvoll den Beschluss über den Haushalt in der letzten Sitzung des Rates auszusetzen, mit allen Fraktionen und der Verwaltung gemeinsam nach Möglichkeiten zur Erzielung von Einsparpotential zu suchen und hierbei einen Kahlschlag im freiwilligen Bereich zu vermeiden. Die in den 13 Sitzungen der einberufenen Haushaltsstrukturkommission erfolgten Beratungen waren nach meiner Wahrnehmung teilweise hart, aber keineswegs unfair. Ging es doch darum, eine zukunftsfähige Lösung unter Aufrechterhaltung möglichst vieler eigener Positionen und Standpunkte zu erarbeiten. Wie in der Presse bereits zu lesen war, konnte die Kommission für die nächsten 5 Jahre Einsparmöglichkeiten von mehr als 10 Mio. € festmachen und einvernehmlich vereinbaren. Dies ist ein großer Erfolg für diese Stadt. Ich glaube nicht, dass es eine weitere Stadt in NRW gibt, in der Politik und Verwaltung in dieser Ausführlichkeit über Parteigrenzen hinweg und mit derart großer Verantwortung für ihre Stadt nach Kompromissen gesucht und auch gefunden hat.
Eine der maßgeblichen Grundlagen für unsere Positionierung war und ist die Glaubwürdigkeit unserer UWG und damit verbunden die Verlässlichkeit unserer politischen Aussagen. In Zeiten, in denen es den Bürgern durch die aktuelle Wirtschaftslage insgesamt schlechter geht, sind Steuererhöhungen nach unserer festen Überzeugung das falsche Medikament für den „Patienten Stadt Siegen“.
Ein Vergleich mit den Steuersätzen der Städte und Gemeinden im Umland und erst recht in Hessen und Rheinland-Pfalz zeigt, dass wir bei Gewerbesteuer und Grundsteuer eine Spitzenposition einnehmen. Insofern kam und kommt eine Erhöhung dieser Steuern für uns zurzeit nicht in Frage. Daran halten wir uns auch jetzt.
Den Verwaltungsvorschlag zur Erhöhung der Grundsteuer lehnen wir daher ab.
Ein großes Thema für Siegen und ihre ständig sinkende Einwohnerzahl ist die Frage des demografischen Faktors. Damit verbunden ist die Frage, wie können wir verhindern, dass Siegen weiter schrumpft, unter die 100.000er Einwohnerzahl sinkt und damit verbundenen, ihre so wichtige oberzentrale Funktion verliert. Unsere Auffassung war und ist es, dass wir Siegen als familienfreundlichste Stadt im großen Umkreis präsentieren wollten. Ich denke, mit den Beschlüssen vom 25.03.2009 und der dabei erfolgten einkommens-abhängigen Reduzierung der Elternbeiträge für die Kindertageseinrichtungen und die Mittagsverpflegung in diesen Einrichtungen haben wir dafür gesorgt, dass wir jenseits von Parteiprogrammen in diesem wichtigen familienpolitischen Bereich führend in NRW sind.
Insoweit verbleibt es in Siegen bei den kinder- und familienfreundlichen Einkommensgrenzen von pauschal 30.000 €. Die Anregung diese Grenze, abhängig von der tatsächlichen Familiengröße und damit verbunden eine weitere Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit zu erzielen, sollten wir verantwortungsvoll aufnehmen und ggfls. bei den Haushaltsberatungen 2011 gemeinsam aufgreifen.
Ebenso wichtig ist in diesem Zusammenhang die Aufrechterhaltung der Infrastruktur in unserem sehr stark dörflich geprägten städtischen Umfeld. Ich nenne hier den Bereich der Dorferneuerung, die Bedeutung der Bürgerhäuser und der Sportstätten in diesem Bereich, sowie die Wahrnehmung unserer Verantwortung, die oftmals bestehenden Verkehrsprobleme anzugehen und z.B. durch bauliche oder sonstige verkehrslenkenden Maßnahmen die Einfahrtgeschwindigkeit in unsere dörflichen Eingangstore zu reduzieren. Hierbei haben wir im Zuge der Gesamtverhandlungen zwar einschneidende Einschränkungen hinnehmen müssen, die Grundthemen und deren weitere Bearbeitung mit zwar deutlich reduzierten Ansätzen aufrecht erhalten können. Auch bei diesem Gesamtpaket konnte im Zuge der Verhandlungen nach zähem Ringen ein Kompromiss, erzielt werden.
Weiterhin konnte der Bau des nach unserer Auffassung völlig unnötigen 2. Kreisel in Eiserfeld abgewendet werden. Wir werden sehen, wie sich die Verkehrssituation nach Fertigstellung der HTS darstellt.
In Siegen findet im Jahr 2010 der NRW-Tag statt. Ein großes Event, bei dem Siegen für ein Wochenende im Fokus von NRW steht. Kritiker dieses Projektes sagen, dass die durch die Festivitäten gebundenen Mittel von ca. 300.000 € anders besser investiert seien. Ich gebe dabei zu, dass wir uns in Kenntnis unserer aktuellen Haushaltslage und der damit verbundenen Kosten heute u.U. nicht mehr für eine Bewerbung entscheiden würden. Vor dem Hintergrund, dass wir die Bewerbung für dieses Projekt weit vor Bekanntwerden der Bankenkrise und der damit verbundenen finanziellen Verschlechterungen abgegeben und wir in Siegen mit dem zuvor skizzierten Finanzrahmen die in NRW mit Abstand günstigsten Festival-Tage mit einem hohen Anteil von Sponsorengeldern projektiert haben, begrüßen wir dieses Projekt ausdrücklich. Wir danken dabei allen an der Vorbereitung dieses High-Lights Beteiligten ausdrücklich für ihr Konzept und freuen uns nun auf erfolgreiche NRW-Tage mit möglichst vielen Besuchern in Siegen. Auch dies macht ein Oberzentrum aus.
Die Regionale naht und die damit verbundenen Projekte sind für diese Stadt richtungsweisend. Der Einzug der Universität in das Untere Schloss ist unbestritten ein wichtiger Schritt für eine weitere Verankerung der Universität sowie eine verbesserte Wahrnehmung von studentischem Leben in unserer Stadt. Anders sieht unsere Bewertung für ein weiteres geplantes sog. High-Light aus. Mit dem Projekt „Siegen zu neuen Ufern“ sind wir nach unserer Auffassung etwas überfordert. Die inhaltliche Diskussion werden wir in der nächsten Sondersitzung des Rates führen; darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen. Wir halten es aber in Zeiten, wo wir beispielsweise das Schließen von Hallenbädern und bis dahin zumindest über das Absenken der Wassertemperaturen ernsthaft diskutieren für unvertretbar erneut eine weitere Großinvestition in dieser Stadt anzugehen. Für diesen Beschluss werden auch im Haushalt 2010, wenn auch vorerst in bescheidenem Umfang durch den Einsatz erforderlicher Planungsmittel, die Weichen gestellt. So verlockend das Projekt „Freilegung der Sieg“ auch sein mag. Das Projekt wird nur dann erfolgreich sein, wenn neben dem Abriss der Siegplatte auch die begleitenden Maßnahmen wie, die Neugestaltung der Sandstraße mit der erforderlichen Schaffung von Ersatzparkplätzen, die Neugestaltung des Herrengartenbereichs sowie die dringend erforderliche Verbesserung der Anbindung der Oberstadt an die Unterstadt parallel zum Rückbau erfolgt.
Diese wichtigen Rahmenmaßnahmen, die im Übrigen bereits inhaltlich im Rahmenplan Siegen-Mitte Anfang der 90erJahre festgelegt wurden, werden wir uns jedoch ohne einschneidende Reduzierungen in den sonstigen Ausgabenbereichen objektiv absehbar nicht leisten können.
Bei unterstellten 15 Mio. € Gesamtkosten -Rückbau der Siegplatte- wird der städtische Anteil zwischen 10% und 30% liegen. 1,5 bis 4,5 Mio. € städtischer Anteil, der in Anbetracht der im Nothaushalt geltenden Kreditobergrenze unsere Möglichkeiten in anderen Bereichen nachhaltig reduzieren wird. Die Finanzierung der weiteren Millionen für die begleitenden Maßnahmen liegt somit in den Sternen und könnte damit leicht das gleiche Schicksal erleiden wie der Rahmenplan Siegen Mitte. Damit sind wir nicht einverstanden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der Frage wie wir uns in Anbetracht der aktuellen Situation zum Gesamthaushalt positionieren, haben wir uns sehr schwer getan. Es gibt Argumente, die im Sinne der gemeinsamen Beratungen und der in der Haushaltsstrukturkommission gefundenen Kompromisse im Interesse einer möglichst großen nach außen getragenen Mehrheit überwiegend für eine Zustimmung zum Haushalt sprechen. Es gibt für uns aber auch reichlich Argumente, die in Anbetracht sich abzeichnender Mehrheiten für eine Erhöhung der Grundsteuer einerseits sowie der - trotz ungesicherter Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen im Umgebungsbereich der Siegplatte - absehbaren Zustimmung zu dem Grundprojekt „Siegen zu neuen Ufern“ andererseits in Anbetracht der damit verbundenen Weichenstellung gegen eine positive Beschlussfassung sprechen.
Nach reiflicher Überlegung und Abwägung der zuvor genannten Entscheidungskriterien hat sich die erweiterte Fraktion der UWG mit großer Mehrheit für eine Ablehnung des Haushalts 2010 entschieden. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht; die Stadtverordneten der UWG werden dieser Empfehlung geschlossen folgen.
Zum Schluss möchte ich mich bei den Bediensteten der Verwaltung für die geleistete Arbeit im vergangenen Jahr recht herzlich bedanken.
Ich verbinde diesen Dank wie in den Vorjahren mit der Bitte, die anstehenden notwendigen strukturellen Veränderungen im gegenseitigen Interesse kritisch aber konstruktiv zu begleiten.
Glückauf